Rechtliche & marktorganisatorische Anforderungen an den P2P-Stromhandel
Mit der vorliegenden Arbeit wird der „Blockchain-Hype“ in der Energiewirtschaft aufgegriffen und einer wissenschaftlichen Betrachtung unterzogen, womit im Ergebnis ein differenzierterer Blick auf die vermeintlich disruptive Qualität dieser neuen Technologie ermöglicht wird. Von besonderem Interesse ist dabei das Potenzial der Blockchain-Technologie für den Peer-to-Peer-Handel von dezentralem Strom aus erneuerbaren Energien und den damit einhergehenden Risiken für die etablierten Marktakteure. — Autor: Michael Kreuzburg
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Peer-to-Peer-Stromhandel zwischen Endkunden
P2P-Handel im energiewirtschaftlichen Kontext bezeichnet ein Konzept, welches miteinander agierenden Marktakteuren einen direkten Zugang zueinander verschafft, sodass für Stromhandelsgeschäfte bzw. Stromlieferungen keine zentralen Instanzen wie Börsen, Broker oder Energieversorger mehr erforderlich sind. Für derartige, direkte Handels- und Lieferbeziehungen im Energiemarkt ergeben sich unterschiedliche Kombinationsmöglichkeiten zwischen den miteinander agierenden Marktteilnehmern. Derzeit sind Interaktionen zwischen Unternehmen, beispielsweise beim Börsen- oder OTC-Handel, und zwischen Unternehmen und Endkunden, beispielsweise in Form eines konventionellen Versorgungsverhältnisses, gängige Praxis. Durch den Blockchain-Einsatz könnten zukünftig auch energiewirtschaftliche Beziehungen zwischen Endkunden und von Endkunden an Unternehmen möglich werden. Dabei fließen die P2P-gehandelten Energiemengen zwar nach wie vor durch das öffentliche Stromnetz, die Vermarktung und der Strombezug erfolgen nach diesem Konzept jedoch nicht mehr über einen konventionellen Energieversorger, sondern über ein P2P-Netzwerk zwischen den Endkunden. Dieses P2P-Netzwerk würde das Internet als Kommunikationsinfrastruktur nutzen, während intelligente Mess- und Steuerungssysteme als Schnittstelle zwischen den physikalischen Stromflüssen und der digitalen Abwicklung der Transaktionen stünden.
Zweifelsfrei würde ein flächendeckender Stromhandel unter Endkunden die Organisation der energiewirtschaftlichen Kernprozesse sowie die damit einhergehenden Geschäftsmodelle etablierter Marktakteure weitreichend verändern. Ob und unter welchen Voraussetzungen ein derartiger P2P-Handel jedoch rechtlich und marktorganisatorisch überhaupt umsetzbar ist und mit welchen Implikationen dies einherginge, ist Gegenstand der folgenden Analyse.
Ein allgemeines Realisierungskonzept für den P2P-Handel
Seit das New Yorker Startup L03-Energy Mitte 2016 im Rahmen des Projekts „Brooklyn Microgrid“ den Beweis erbracht hat, dass Strom über eine Blockchain direkt zwischen Erzeuger und Verbraucher gehandelt werden kann, ist der P2P-Stromhandel ins Blickfeld der Energiewirtschaft gerückt.[i] Mittlerweile gibt es weltweit eine Vielzahl weiterer Projekte, die ebenfalls darauf abzielen, den direkten Stromhandel zwischen Endkunden zu ermöglichen. Die Ansätze dieser P2P-Projekte sowie die energiewirtschaftlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen in denen sie entwickelt werden, unterscheiden sich jedoch teilweise sehr deutlich voneinander.
Während L03-Energy in New York den Schwerpunkt auf die Entwicklung eines Microgrids legt, das einer nachbarschaftlichen Gemeinschaft eine unabhängige, sichere und kostengünstige Versorgung ermöglicht, stellt das australische Unternehmen PowerLedger die Bereitstellung einer Plattform in den Fokus, die beispielsweise Energieversorger dazu nutzen können ihren Kunden einen P2P-Handel von überschüssigem Strom anzubieten. Das Resultat, nämlich der direkte Handel von Strom zwischen Erzeuger und Verbraucher, ist bei beiden Unternehmen identisch. Allerdings unterscheiden sich die Motivation, die technische sowie marktliche Ausgestaltung und nicht zuletzt die rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen die Blockchain-Projekte entwickelt werden.
Auch auf dem deutschen Markt gibt es die ersten P2P-Projekte, wie beispielsweise das Startup Conjoule, das private Energieproduzenten mit lokalen Stromverbrauchern verbinden will. Bislang wurden jedoch kaum Erfahrungswerte zur konkreten Umsetzung eines P2P-Handels veröffentlicht, weshalb im Folgenden anhand der bereits laufenden und geplanten Projekte sowie eigener, theoretischer Überlegungen ein allgemeines Realisierungskonzept für den P2P-Handel entwickelt wird. Dieses Realisierungskonzept soll zum einen dazu dienen, die meist nur oberflächlich betrachtete Idee des P2P-Handels in ein greifbares Konzept zu überführen, das neben der erforderlichen Infrastruktur auch Ansätze zur digitalen Wertübertragung sowie möglichen Marktmodellen im Rahmen des P2P-Handels liefert. Zum anderen dient das Realisierungskonzept als Basis für die Identifizierung der rechtlichen und marktorganisatorischen Anforderungen an den P2P-Handel sowie einer Marktpotenzialschätzung.
Erforderliche Infrastruktur
Im Unterschied zu vielen anderen Blockchain-Anwendungen, die sich lediglich in der digitalen Welt abspielen, ist der P2P-Handel von Elektrizität mit einer streng definierten, physikalischen Lieferung der gehandelten Strommengen verbunden. Zu diesem Zweck ist es erforderlich, dass alle Netzwerkteilnehmer nicht nur digital über das Internet in Verbindung stehen, sondern auch physikalisch miteinander verbunden sind. Da jeder Haushalt i.d.R. bereits an das öffentliche Stromnetz angeschlossen ist, liegt es nahe, dass dieser Anschluss auch für die Einspeisung und Belieferung im Rahmen des P2P-Handels weiterhin genutzt wird.
Als Schnittstelle zwischen den physikalischen Stromflüssen und der Abwicklung der Handelstransaktionen über die Blockchain dient ein intelligentes Messsystem, umgangssprachlich oft auch als „Smart Meter“ bezeichnet. Ein intelligentes Messsystem besteht nach § 2 Nr. 7 MsbG aus einer modernen Messeinrichtung zur Erfassung elektrischer Energie und einem Smart Meter Gateway, welches die Einbindung in ein Kommunikationsnetz ermöglicht. Damit ist es möglich, den tatsächlichen Energieverbrauch und die tatsächliche Nutzungszeit exakt zu erfassen und für den Verbraucher sowie für berechtigte Dritte in Echtzeit bereitzustellen. Um als Erzeuger oder Verbraucher am P2P-Handel teilzunehmen, ist für die korrekte Zuordnung und Abrechnung der erzeugten und verbrauchten Energiemengen ein solches intelligentes Messsystem erforderlich.
Mithilfe der modernen Messeinrichtung werden so bei jedem Netzwerkteilnehmer Erzeugungs- und Verbrauchsdaten in definierten Zeitintervallen gemessen und über das Smart Meter Gateway kontinuierlich im P2P-Netzwerk geteilt. Andersherum ist das Smart Meter Gateway ebenso in der Lage, Informationen aus dem P2P-Netzwerk zu empfangen, wie beispielsweise Preissignale, um entsprechend vorgegebener Bedingungen die Vermarktungsform bzw. Lieferoption zu wechseln. Abbildung 1 veranschaulicht die Infrastruktur für den P2P-Stromhandel.
Da zunächst nicht davon auszugehen ist, dass sich alle Netzwerkteilnehmer zu jeder Zeit ausschließlich mit P2P-gehandeltem Strom versorgen, sondern stattdessen eine Kombination der Veräußerungs- bzw. Beschaffungsalternativen anstreben, ist eine Steuerungseinheit erforderlich, die Informationen aus dem Netzwerk verarbeitet und auf Basis der Nutzerpräferenzen automatisch Entscheidungen trifft. Diese Steuerungseinheit ist über das Smart Meter Gateway mit dem intelligenten Messsystem verbunden bzw. Teil dieses Systems.
Aus Erzeugerperspektive ermöglicht die Steuerungseinheit somit, dass auch bei dynamischen Erlösmöglichkeiten immer die wirtschaftlichste Veräußerungsform gewählt werden kann. Der Verbraucher hingegen stellt mit einer Steuerungseinheit sicher, dass er bei Preisschwankungen auf den unterschiedlichen Beschaffungsmärkten und fluktuierender Verfügbarkeit von P2P-Strom seinen Strombedarf immer entsprechend seiner Präferenzen von unterschiedlichen Lieferanten decken kann. Dieser automatische Wechsel zwischen den Vermarktungs- bzw. Bezugsformen ist nicht zuletzt für das Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch und damit für die Systemstabilität von Bedeutung.
Digitale Wertübertragung ohne Intermediäre
Durch den Blockchain-Einsatz kann ein Transaktionssystem radikal verändert werden. Anstatt Intermediäre für eine sichere und glaubwürdige Wertübertragung einzusetzen, übernimmt ein Blockchain-Protokoll und der darin geschriebene Konsensmechanismus die Validierung und Protokollierung der Transaktionen.
Für den energiewirtschaftlichen P2P-Handel bedeutet dies, dass im einfachsten Fall jeder Netzwerk-Teilnehmer eindeutig über einen individuellen, öffentlichen Schlüssel identifizierbar ist, wohingegen die Authentifizierung über das Signieren von Transaktionen mithilfe des privaten Schlüssels erfolgt. Zur Wertübertragung werden anschließend sogenannte Token verwendet, die ihrem Besitzer innerhalb des Netzwerks einen definierten Wert zusprechen und idealerweise gegen Kryptowährungen oder Zentralbankgeld eingetauscht werden können. Bevor ein Verbraucher also Elektrizität über das P2P-Netzwerk beziehen kann, muss er zunächst über eine Plattform Zentralbankgeld in Token eintauschen. Der Wechselkurs der Token ist zwar beliebig definierbar, eine direkte Kopplung an das Zentralbankgeld (z.B. 1 Token = 1 Euro) ist allerdings aus Gründen der Wertstabilisierung ratsam. Würde man den Wechselkurs stattdessen dem Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage überlassen, kann es unter anderem durch Spekulationsgeschäfte zu starken Kursschwankungen kommen. Über einen Smart Contract lässt sich anschließend definieren, dass eine P2P-Lieferung von Strom mit einer entsprechenden Anzahl von Token vergütet wird. Die Token wechseln entsprechend der Transaktionshöhe vom Verbraucher in den Besitz des P2P-Lieferanten, der die Token anschließend entweder selber zum Strombezug aus dem P2P-Netzwerk nutzen oder in Zentralbankgeld tauschen kann.
Da die Ausgabe sowie der Handel von Token zentrales Merkmal einer Handelsplattform auf Blockchain-Basis darstellt, sollen anhand eines Praxisbeispiels die Gestaltungsmöglichkeiten durch das gewählte Tokensystem verdeutlicht werden. Gegenstand der Betrachtung ist in diesem Zusammenhang das duale Tokensystem der australischen Firma PowerLedger, das im Gegensatz zu dem bereits beschriebenen, einfachen Tokensystem einen marktübergreifenden Einsatz ermöglicht. So kommen beim PowerLedger-Ansatz zwei unterschiedliche Token zum Einsatz, die sich in Funktion, repräsentiertem Wert und Ausgabemechanismus unterscheiden. Die Token stehen jedoch in einem definierten Verhältnis zueinander, sodass sie einen P2P-Handel sowohl in einem durch große Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVUs) beherrschten Markt, wie auch in einem vollständigen P2P-Markt ermöglichen.
Ausgangspunkt sind die sogenannten POWR-Token, die hauptsächlich als Lizenz bzw. Zugangsberechtigung für die von PowerLedger bereitgestellte P2P-Plattform dienen. In einem durch klassische EVU kontrollierten Markt werden POWR-Token käuflich von diesen Versorgern erworben, um sich selber und den eigenen Kunden den Zugriff und eine Nutzung der PowerLedger-Plattform zu ermöglichen (siehe Abbildung 2). Anschließend werden POWR-Token über einen Smart Bond in sogenannte SPARKZ-Token eingetauscht. Diese SPARKZ-Token repräsentieren in dem Netzwerk den Wert einer Einheit elektrischer Energie und können gegen die lokale Währung in beide Richtungen gewechselt werden. Darüber hinaus wird durch die Limitierung von SPARKZ-Token ein konstanter Wechselkurs zwischen den Energiepreisen und dem Wechselkurs zu den POWR-Token gewährleistet. Um den eigentlichen P2P-Handel zu realisieren, verkauft der Anwendungsbetreiber schließlich SPARKZ-Token an die Anwender, die mithilfe der Token untereinander Strom direkt handeln können.
Auf einem vollständigen P2P-Markt entfällt die Rolle des EVUs und die POWR-Token werden direkt von den Endkunden erworben. Ein Verkauf der SPARKZ-Token durch ein EVU entfällt ebenfalls, stattdessen tauschen die Anwender durch einen Smart Bond ihre POWR-Token direkt in SPARKZ-Token (siehe Abbildung 3).[ii]
Mögliche Marktmodelle für den P2P-Handel
Um Stromerzeuger und -verbraucher in einem P2P-Netzwerk zusammenzubringen, bedarf es einer Logik, die einem konkreten Angebot eine konkrete Nachfrage zuordnet und anschließend einen verbindlichen Geschäftsabschluss erwirkt. Da sich die verfügbaren Leistungen auf Erzeugerseite wie auch die Lasten bei den Verbrauchern innerhalb weniger Sekunden ändern können, ist es unrealistisch, dass Anbieter und Nachfrager manuell ein Angebot bzw. eine Nachfrage aufgeben und gegenseitig bestätigen. Stattdessen ist ein Markt-Modell mit der gewünschten Handelslogik in ein Software-System zu implementieren, um durch eine Automatisierung der Geschäftsprozesse einen P2P-Handel erst zu ermöglich. Die inhaltliche Ausgestaltung des Marktmodells hängt von der übergeordneten Zielstellung des P2P-Handels ab, die zumindest für einen Marktakteur, optimalerweise sogar für mehrere oder alle Akteure, einen Mehrwert im Vergleich zum aktuellen Strommarktdesign bietet.
Im Folgenden werden drei Marktmodelle exemplarisch beschrieben, um die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten, Beweggründe und Mehrwerte eines P2P-Handels zu verdeutlichen. Auch wenn die Marktmodelle hier getrennt voneinander betrachtet werden, ist eine Kombination untereinander oder Ergänzung durch weitere Marktmodelle vorstellbar.
Das Börsenmodell. Als Zielstellung des P2P-Handels lässt sich beispielsweise eine Liberalisierung der P2P-Verkaufserlöse anstreben, indem über ein Börsenmodell ein markträumender Preis aus dem Verhältnis zwischen Angeboten und Nachfragen ermittelt wird. Ähnlich wie beim konventionellen Stromhandel, ginge man für den Stromtransport und die Verteilung bis zum Endkunden von einer sogenannten „Kupferplatte“ aus, die es erlaubt, dass prinzipiell jeder Erzeuger mit jedem Verbraucher Strom handeln kann. So ließe es dieses Modell im Sinne eines liberalisierten Strommarktes beispielsweise zu, dass Strom aus einer süddeutschen PV-Anlage über diverse Verteil- und Übertragungsnetzebenen bis nach Norddeutschland geliefert würde. Ein P2P-Handel nach einer derartigen Logik käme dem aktuellen Strommarktdesign am nächsten, was zur Folge hätte, dass Strom nach wie vor als reine Handelsware verstanden und maßgeblich über den Preis differenziert würde. Der Anbieter von P2P-Strom würde direkt mit herkömmlichen Lieferanten konkurrieren, weshalb der erwartete P2P-Erlös den Preisbestandteil für die konventionelle Erzeugung und Vermarktung nicht übersteigen sollte. Andernfalls wäre der P2P-Strom nämlich nach Aufschlag aller Steuern, Umlagen und Entgelte teurer als ein regulärer Stromtarif und die Stromkunden hätten kein wirtschaftliches Interesse mehr, sich für einen P2P-Bezug zu entscheiden.
Da in einem Börsenmodell jeder Teilnehmer auf seinen wirtschaftlichen Vorteil bedacht ist, entsteht für den Verbraucher erst ein Mehrwert, wenn er P2P-Strom günstiger beziehen kann, als Strom über einen konventionellen Stromliefervertrag. Ein Preispremium für den Erzeuger wäre in einem reinen Börsenmodell vermutlich nicht durchzusetzen, da für den Stromkunden durch den P2P-Handel weder ein rationaler noch ein emotionaler Mehrwert zu erwarten ist. Ein netzdienlicher Effekt wäre bei einem bundesweiten Börsenmodell nur bedingt zu erwarten, da der P2P-Marktpreis lediglich das deutschlandweite Verhältnis zwischen P2P-Angebot und P2P-Nachfrage reflektiert, nicht aber die Entfernungen zwischen den jeweiligen Marktlokationen der Erzeuger und Verbraucher und die damit verbundene Übertragung und Verteilung durch die öffentlichen Netze.
Regionaler Strombezug. Bei einem Marktmodell, welches einen möglichst regionalen Strombezug fördert, wären Stromlieferungen an Verbraucher in räumlicher Nähe des Erzeugers anzustreben. Orientiert man sich hinsichtlich der Kundenwünsche an anderen Branchen, lässt sich feststellen, dass beispielsweise in der Lebensmittelindustrie „Regionalität“ aus Verbraucherperspektive immer wichtiger wird. Kunden assoziieren mit Regionalität nicht nur rationale Werte wie typische, regionale Produkte, kurze Wege und Nachhaltigkeit, sondern auch emotionale Werte wie Vertrautheit, Natürlichkeit und den persönlichen Kontakt zum Produzenten[iii]. Überträgt man diesen Ansatz auf den Strombezug, ist anzunehmen, dass manchen Kunden ein herkömmlicher Ökostromtarif nicht mehr ausreicht und sie im Sinne der Regionalität stattdessen eine Stromlieferung aus räumlicher Nähe bevorzugen würden. Den zusätzlichen rationalen und emotionalen Mehrwert der Regionalität würde eine Kundengruppe möglicherweise durch Zahlen eines Preispremiums honorieren, was dem Erzeuger höhere Erlöse ermöglicht.
Ein regionaler Stromhandel würde aufgrund der kürzeren Übertragungswege sicherlich geringere Leitungs- und Transformationsverluste mit sich bringen und möglicherweise sogar einen Beitrag zur Substitution des Netzausbaus liefern. Ob allerdings ein signifikanter Beitrag zur Systemstabilität geleistet würde, kann pauschal nicht beantwortet werden, da dies vom lokalen Verhältnis zwischen Erzeugern, Verbrauchern und der Struktur der Übertragungs- und Verteilkapazitäten abhängig ist.
Netzdienlicher P2P-Handel. Wäre es das Ziel, durch einen P2P-Handel das Netz zu stabilisieren, müssten Anreize für einen netzdienlichen Verbrauch geschaffen werden. Beispielsweise könnten die Netzanbieter ihre Netzentgelte flexibilisieren und den Verbrauchern Preissignale über die intelligenten Messsysteme zur Verfügung stellen, sodass je nach Einspeisesituation finanzielle Anreize zur Lastverschiebung (engl. Demand Side Management, DSM) entstünden. Über Einspeise- und Lastprognosen ließen sich nach diesem Ansatz Netzengpässe oder Ungleichgewichte auf dem Strommarkt antizipieren, und durch einen koordinierten P2P-Handel entgegenwirken. Flexible Verbraucher könnten somit den P2P-Handel nutzen, um von reduzierten Netzentgelten zu profitieren. Der größte Mehrwert würde sich aber vermutlich auf Ebene des Netzmanagements realisieren lassen, wo im Jahr 2015 über 890 Mio. Euro für Maßnahmen des Engpassmanagements aufgewendet werden mussten[iv]. Eine Reduzierung dieser Kosten hätte wiederum direkten Einfluss auf die Höhe der Netzentgelte und käme somit allen Stromkunden zu Gute.
Rechtliche und marktorganisatorische Anforderungen
Um zu bewerten, ob ein P2P-Handel im aktuellen, rechtlichen und marktorganisatorischen Rahmen möglich ist bzw. welche Anpassungen dafür erforderlich wären, wird zunächst das allgemeine Rollenmodell für die Marktkommunikation auf dem deutschen Strommarkt herangezogen. Wie jedes Modell, vereinfacht und abstrahiert auch das energiewirtschaftliche Rollenmodell die realen Gegebenheiten. Doch auch wenn dadurch gewisse Details, Ausnahmen und Sonderregelungen unberücksichtigt bleiben, ermöglicht dieses Modell eine grundsätzliche Einschätzung der Vereinbarkeit dieser Blockchain-Anwendung mit den etablierten Strukturen des Strommarktes.
Da insbesondere die Vermarktung und Beschaffung von Elektrizität eine zentrale Rolle beim P2P-Handel spielen, wird anschließend auf die diesbezüglichen gesetzlichen Regelungen und vertraglichen Beziehungen der Marktteilnehmer eingegangen. Abschließend erfolgt anhand von zwei konkreten Gestaltungsvarianten eine Einordnung des P2P-Handels in das energiewirtschaftliche Rollenmodell und eine Einschätzung der Vereinbarkeit von P2P-Handel und dem aktuellen Strommarktdesign.
Das allgemeine Rollenmodell für den deutschen Strommarkt
Die Funktionsweise des liberalisierten Energiemarktes basiert auf einem stark regulierten und streng abgestimmten Zusammenspiel unterschiedlicher Akteure. Zu diesem Zweck wurde durch Gesetze, Verordnungen und Richtlinien ein Rahmen geschaffen, der die jeweiligen Beziehungen, Pflichten, Verantwortlichkeiten und Rechte der Marktteilnehmer genau definiert.
Ein Rollenmodell stellt in diesem Zusammenhang die organisatorische Ausgestaltung von Marktstrukturen dar, indem Verantwortungen eindeutig zugewiesen und zugleich die Beziehungen der verschiedenen Rollen untereinander festgelegt werden. Eine Rolle fasst dabei miteinander verbundene Verantwortlichkeit in geeigneter Komplexität zusammen, wobei jeder Rolle genau ein Marktakteur zugeordnet werden kann. Hingegen sind einzelne Rollen multiplizierbar und können von mehreren Personen gleichermaßen ausgeübt werden. Zudem können mehrere Rollen zusammengefasst und durch einen Marktakteur ausgeübt werden.[v]
Neben Rollen gibt es in dem Rollenmodell für die Energiewirtschaft noch Gebiete und Objekte, die im europäischen Sprachgebrauch auch mit dem Begriff „domains“ zusammengefasst werden. Diese Gebiete (Bilanzkreise, Bilanzierungsgebiete, Netzgebiete und Regelzonen) und Objekte (technische Ressource, Markt- und Messlokation) dienen bestimmten Aufgaben und Funktionen und werden von den Rollen verwaltet und genutzt.[vi]
Das Rollenmodell für den deutschen Energiemarkt basiert auf der auf europäischer Ebene entwickelten Richtlinie namens “The Harmonised Electricity Market Role Model”, welche gemeinsam von ENTSO-E, ebIX und EFET entwickelt wurde[vii]. Diese europäischen Vorgaben wurden anschließend unter Berücksichtigung der nationalen Besonderheiten vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) auf den deutschen Energiemarkt angepasst und dienen seither dem Zweck, Verantwortlichkeiten eindeutig zuzuweisen, um somit die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Marktakteuren zu erleichtern[viii].
Das Bilanzkreisprinzip. Ausgangspunkt des aktuellen Rollenmodells zur marktkommunikativen Organisation des Strommarktes ist das sogenannte Bilanzkreisprinzip, welches eine stabile Netzführung bei gleichzeitigem Wettbewerb gewährleistet. Bilanzkreise sind in diesem Zusammenhang abrechnungstechnische Konstrukte, die einen Vergleich zwischen prognostizierter bzw. bestellter Leistung und tatsächlich gelieferter, physikalischer Leistung ermöglichen. Notwendig sind diese Bilanzkreise für das Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch, da die Stromhandelsgeschäfte auf einem liberalisierten Markt zunächst ohne Kenntnis der Netzführung durchgeführt werden. Alle Netznutzer (d.h. alle einspeisenden Kraftwerke, Verbraucher, Händler und Lieferanten) müssen einem Bilanzkreis mit einem definierten Bilanzkreisverantwortlichen (BKV) angehören, wobei lediglich die eindeutige Zuordnung der Bilanzkreismitglieder zu einem BKV entscheidend ist, die räumliche Nähe jedoch keine Rolle spielt. Die Aufgabe eines BKV ist es sodann in einem viertelstündlichen Raster die prognostizierten Lastprofile seiner Verbraucher durch entsprechende Einspeiseleistungen abzudecken. Dabei kann er sich prognostizierter Leistungen aus seinem eigenen Bilanzkreis bedienen oder unterschiedliche Stromprodukte an den Großhandelsmärkten extern einkaufen, wie beispielsweise langfristige OTC-Verträge zur Sicherung der Grundlast, Programmlieferungen für die saisonale Nachfrage oder kurzfristige Börsenlieferungen zur Deckung der Spitzenlast. Je nach Planungsgenauigkeit und möglichen unvorhersehbaren Ereignissen auf Erzeugungs- oder Verbraucherseite, verbleibt für die Bilanzkreise eine mehr oder weniger große Differenz, die durch die Übertragungsnetzbetreiber in Form von Regelenergie ausgeglichen wird. Der Anteil jedes einzelnen Bilanzkreises an dieser bereitgestellten Regelenergie wird Ausgleichsenergie genannt und den jeweiligen BKV in Rechnung gestellt bzw. gutgeschrieben. Die BKV haben somit ein immanentes Interesse, ihre Bilanzkreise im Sinne der Systemstabilität eigenständig auszuregeln.[ix]
Aktuelle Marktrollen. Aus Endnutzerperspektive ist eine technische Anlage zur Erzeugung oder zum Verbrauch von elektrischer Energie Ausgangspunkt der Betrachtung. Im Rollenmodell werden solche technischen Anlagen, unabhängig davon ob Erzeuger oder Verbraucher, als technische Ressource zusammengefasst und einem Einsatzverantwortlichen (EIV) unterstellt, der für ihren ordnungsgemäßen Einsatz sowie für die Übermittlung ihrer Fahrpläne zuständig ist.
Als Schnittstelle zum öffentlichen Netz wird die technische Ressource zudem einer eindeutigen Markt- und Messlokation zugeordnet. Über die Marktlokation steht der Lieferant (LF) anschließend in der Verantwortung, Verbraucher mit Strom zu beliefern bzw. Erzeugern den produzierten Strom abzunehmen. Damit einher geht die finanzielle Verpflichtung, für Differenzen zwischen bilanzierten und gemessenen Energiemengen der belieferten Marktlokationen aufzukommen.
Damit die tatsächlich eingespeisten bzw. bezogenen Energiemengen ordnungsgemäß abgerechnet werden können, ist ein Messstellenbetreiber (MSB) für den Einbau, den Betrieb sowie die Wartung und Ablesung von Geräten zur Ermittlung und Übermittlung abrechnungsrelevanter Daten an der Messlokation zuständig. Nach § 3 Nr. 26a EnWG obliegt es allerdings dem Anschlussnehmer entweder den lokalen Netzbetreiber oder einen Dritten mit dem Messstellenbetrieb zu beauftragen. Weitere gesetzliche Bestimmungen sind im Messstellenbetriebsgesetz (MsbG) festgelegt.
Entsprechend des bereits erläuterten Bilanzkreisprinzips ist der Bilanzkreisverantwortliche (BKV) in Marktgebieten oder Regelzonen für den energetischen und finanziellen Ausgleich seiner Bilanzkreise verantwortlich. Um Differenzen zwischen Entnahmen und Einspeisungen und damit kostenintensive Ausgleichsenergie zu vermeiden, muss der BKV möglichst genaue Leistungs- und Lastprognosen anstreben und durch Energiehandel Über- bzw. Unterkapazitäten kurzfristig ausgleichen.
Auf physikalischer Ebene ist der Netzbetreiber (NB) nach § 3 Nr. 3 EnWG für die Durchleitung und Verteilung von Elektrizität sowie für den Betrieb, die Wartung und den Ausbau seines Netzgebietes verantwortlich. Dabei hat der NB die technischen Ressourcen über die Schnittstelle der Markt- und Messlokationen direkt an sein Verteil- oder Versorgungsnetz angeschlossen. Auf administrativer Ebene hingegen verwaltet der NB die Stammdaten dieser Lokationen und erstellt abrechnungs- und bilanzierungsrelevante Bewegungsdaten, die anschließend für die Bilanzkreisabrechnung aggregiert und allokiert werden. Unterstützt wird er dabei von dem Registerbetreiber (RB), der ein Register zur Erfassung von energiewirtschaftlichen Daten betreibt. Abbildung 4 gibt einen Überblick über das Rollenmodell im deutschen Strommarkt.
Die Gewährleistung der Systemsicherheit sowie der Betrieb, die Wartung und der ggf. erforderliche Ausbau eines Netzes, welches durch regelzonen- und grenzüberschreitende Verbindungen in andere Übertragungsnetze charakterisiert ist, erfolgt nach § 3 Nr. 10 EnWG durch einen Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB). In Deutschland nehmen die vier Unternehmen TenneT, Amprion, 50Hertz sowie TransnetBW neben der Rolle des ÜNB auch noch die Rolle des Bilanzkreiskoordinators (BIKO) ein, der die Abrechnung zwischen den einzelnen BKV verantwortet und damit den finanziellen Ausgleich für zu wenig bzw. zu viel gelieferte Energie erwirkt.[x]
Neben diesen offiziellen Rollen des Marktmodells sei noch der Großhandel erwähnt, der insbesondere mithilfe von Börsen, Brokern und Clearinghäusern die finanzielle Seite des energiewirtschaftlichen Marktgeschehens abbildet. Da die dem Großhandel zuzuordnenden Rollen jedoch nur indirekt mit den physikalischen Leistungsflüssen in Verbindung stehen und stattdessen eher als Dienstleister von Lieferanten und Bilanzkreisverantwortlichen zu verstehen sind, werden sie weder in der BDEW-Richtlinie noch im Rahmen dieser Arbeit detaillierter betrachtet.
Vermarktung und Beschaffung von Elektrizität
Aus Sicht eines Stromproduzenten ist die Grundidee des P2P-Handels von elektrischer Energie, den erzeugten Strom nicht über den Umweg der Netzbetreiber, Großhändler und Lieferanten, sondern auf direktem Weg über ein P2P-Netzwerk an Endkunden zu verkaufen. Um aus dieser Perspektive die regulatorische Vereinbarkeit des P2P-Handels zu bewerten, ist folglich von den aktuellen Bestimmungen für den Anschluss von EE-Anlagen, die Abnahme der damit erzeugten Strommengen, sowie den aktuell zulässigen Veräußerungsformen auszugehen. Analog zur Vermarktung von EE-Strom, ergibt sich aus Perspektive der Stromkunden durch den P2P-Handel ebenfalls eine Neugestaltung der Marktstrukturen, deren Realisierbarkeit von den aktuellen regulatorischen Anforderungen an die Strombeschaffung geknüpft ist. Zu diesem Zweck sollen im Folgenden zunächst die vertraglichen Anforderungen für die Strombeschaffung im aktuellen Marktdesign und anschließend die sich daraus ergebenden Implikationen für den P2P-Handel erläutert werden.
Anschluss und Abnahme von EE-Strom. Vor der Vermarktung des produzierten EE-Stroms stehen der Netzanschluss und die Stromabnahme durch den VNB. Diesbezüglich sind Netzbetreiber nach § 8 EEG 2017 zum unverzüglichen und vorrangigen Netzanschluss von EE-Anlagen sowie nach § 11 EEG 2017 zur vorrangigen physikalischen Abnahme, Übertragung und Verteilung von EE-Strom verpflichtet. Der Netzanschluss und die anschließende Einspeisung sind allerdings je nach Leistung mit unterschiedlichen Anforderungen und Einschränkungen belegt. Wohingegen eine PV-Kleinanlage auf einem Wohnhaus in den meisten Fällen beim Netzbetreiber nur angemeldet und ohne großen Aufwand vom Elektroinstallateur über den Hausanschluss an die Niederspannungsebene angeschlossen wird, kann bei größeren PV- oder Windenergieanlagen eine umfangreiche Netzverträglichkeitsprüfung erforderlich sein. Nichtsdestotrotz müssen netzgekoppelte EE-Anlagen unabhängig von ihrer Leistung immer sowohl beim Netzbetreiber als auch bei der BNetzA angemeldet werden.
Veräußerungsformen für Strom aus erneuerbaren Energien. Ist die Erzeugungsanlage ordnungsgemäß angeschlossen und angemeldet, muss im nächsten Schritt eine Veräußerungsform für den produzierten Strom gewählt werden. Dabei dient als rechtliche Grundlage das EEG, welches nach § 21b EEG 2017 mit der Einspeisevergütung, dem Marktprämienmodell sowie der sonstigen Direktvermarktung drei Veräußerungsformen für Strom aus erneuerbaren Energien vorsieht.
Die ursprünglichste und für PV-Strom bisweilen am häufigsten in Anspruch genommene Option stellt die auf 20 Jahre fixierte Einspeisevergütung nach § 21 EEG 2017 in Verbindung mit einer garantierten Stromabnahme dar. Die Vergütungssätze wurden in den vergangenen Jahren aufgrund kontinuierlich sinkender Investitionskosten zwar sukzessive reduziert, stellen für EE-Strom in den meisten Fällen jedoch immer noch die attraktivste Vermarktungsform dar. Erhält beispielsweise eine im Jahr 2000 in Betrieb gegangene PV-Anlage mit bis zu 10 kWp noch auf 20 Jahre eine garantierte Einspeisevergütung von 50,62 ct/kWh, sind es für im Jahr 2017 neu installierte Systeme der gleichen Leistungsklasse zwar nur noch 12,24 ct/kWh[xi], im Vergleich zu den anderen Veräußerungsoptionen sind damit aber oftmals noch die höchsten Erlöse erzielbar.
Mit dem sukzessiven Ausbau der regenerativen Erzeugungsanlagen verlangt der Gesetzgeber allerdings eine vermehrte Übernahme von Systemverantwortung und Marktintegration der erneuerbaren Energien[xii]. Aus diesem Grund wurde bereits mit dem EEG 2014 zunehmend Abstand von der nahezu bedingungslosen Einspeisevergütung genommen und ergänzend die Direktvermarktung über das sogenannte Marktprämienmodell nach § 37 EEG 2014 (heute § 20 EEG 2017) eingeführt. Bei der Direktvermarktung wird der Grünstrom gleichberechtigt neben dem Strom aus konventioneller Erzeugung an der Strombörse (z.B. am Spotmarkt der EEX) gehandelt und zum Marktpreis verkauft. Der Betreiber der EE-Anlage erhält allerdings zusätzlich zum Börsenerlös eine Marktprämie ausgezahlt, sodass er in Summe mindestens die Höhe der fixen Einspeisevergütung erreicht. Für Neuanlagen ab einer Leistung von 100 kW ist die Direktvermarktung seit Anfang 2016 verpflichtend, Bestandsanlagen können diese Veräußerungsform optional wählen. Kann eine EE-Anlage ihre Einspeiseleistung flexibel anpassen, ist über das Marktprämienmodell sogar ein insgesamt höherer Erlös als durch die Einspeisevergütung möglich[xiii].
Neben den Veräußerungsformen mit Verkaufserlösen in garantierter Höhe, können Stromproduzenten theoretisch ihren Grünstrom auch direkt zum Marktpreis ohne weitere Förderung an der Börse oder zu bilateral ausgehandelten Konditionen verkaufen. Diese Option der sogenannten sonstigen Direktvermarktung nach § 21b EEG 2017 wird bislang jedoch so gut wie nie gewählt, da die finanziellen Unterschiede zur EEG-Vergütung zu groß sind und sich der Anlagenbetrieb zum Marktpreis oftmals nicht wirtschaftlich darstellen lässt. Lediglich einige Wasserkraftanlagen und vereinzelte Onshore-Windkraftanlagen wählen diese Form der Direktvermarktung.
Über diese drei verschiedenen Veräußerungsformen hinaus berücksichtigt § 21b Abs. 4 EEG 2017 ebenfalls die eigene Verwendung des Stroms. Definiert ist die sogenannte Eigenversorgung nach § 3 Nr. 19 EEG 2017 als der Verbrauch von Strom, den eine natürliche oder juristische Person im unmittelbaren räumlichen Zusammenhang mit der Stromerzeugungsanlage selbst verbraucht, sofern der Strom nicht durch ein öffentliches Netz durchgeleitet wird und diese Person die Stromerzeugungsanlage selbst betreibt. Der Eigenverbrauch stellt, sofern der Strombezugspreis größer ist als die garantierte EEG-Vergütung, eine wirtschaftlich lukrative Verwendung des selbst erzeugten Stroms dar. Insbesondere für Kleinanlagen, die ab 2011 in Betrieb genommen wurden, bestehen Anreize zur Eigenversorgung, da der Strom vom eigenen Dach durch die Vermeidung von Umlagen, Steuern und Entgelten meist um ein Vielfaches günstiger ist als von einem Energieversorger. So sind beispielsweise Stromerzeugungsanlagen mit einer installierten Leistung von höchstens 10 kWp bei einem Eigenverbrauch von höchstens 10 MWh pro Kalenderjahr nach § 61a EEG 2017 von der Zahlung der EEG-Umlage befreit. Für Anlagen mit einer höheren Leistung muss die EEG-Umlage zumindest teilweise gezahlt werden, weshalb die Wirtschaftlichkeit im Einzelfall zu prüfen ist.
Will ein Anlagenbetreiber seine Vermarktung optimieren, kann es sinnvoll sein, zwischen unterschiedlichen Veräußerungsformen zu wechseln. Für diesen Fall räumt der Gesetzgeber dem Betreiber zwar ein, nach § 21b Abs. 2f EEG 2017 den erzeugten Strom anteilsmäßig auf verschiedene Veräußerungsformen aufzuteilen, technische Voraussetzung ist jedoch, dass die Ist-Einspeisung in viertelstündlicher Auflösung gemessen und bilanziert wird. Erschwerend kommt hinzu, dass die prozentualen Veräußerungsanteile im Vorfeld festgelegt und dann nachweislich einzuhalten sind.
Strombeschaffung im aktuellen Marktdesign. Grundsätzlich ist die Strombeschaffung auf dem freien Markt eine relativ bürokratische Angelegenheit, da Pflichten und Verantwortlichkeiten der unterschiedlichen Marktakteure bis ins Detail abgesichert werden müssen. So ist bei der regulären, vertraglichen Strombeschaffung (siehe Abbildung 5) zunächst ein Netzanschlussvertrag (NAV) zwischen dem Stromkunden und dem örtlichen Netzbetreiber zu schließen, der Details wie beispielsweise die Eigentumsgrenzen, die maximale Anschlussleistung und die Art der Mess-einrichtung des unmittelbaren Netzanschlusses regelt. Darüber hinaus ist ein Netznutzungsvertrag (NNV) zwischen dem Kunden und dem örtlichen Netzbetreiber abzuschließen, der alle Fragen der Netznutzung regelt, die über den Anschluss hinausgehen (z.B. Entgelte). Weiterhin schließt der Kunde mit dem Lieferanten seiner Wahl einen Stromlieferungsvertrag (SLV) ab, der aufgrund der voraussichtlichen Abnahmemenge den Arbeitspreis pro verbrauchter Kilowattstunde sowie ggf. eine fixe Grundgebühr vorsieht. Für Großkunden ist es üblich, Lieferverträge mit mehreren Lieferanten abzuschließen und teilweise Strom selber an den Großhandelsmärkten einzukaufen. Um die sich aus der Stromlieferung ergebenen Rechte und Pflichten des Lieferanten gegenüber dem Netzbetreiber zu regeln, ist zusätzlich ein Lieferantenrahmenvertrag (RV) zwischen diesen Parteien erforderlich. Abschließend ist zwischen dem bilanzkreisverantwortlichen Lieferanten und dem ÜNB in der Rolle als BIKO, noch ein sogenannter Bilanzkreisvertrag (BV) zu vereinbaren. Dieser BV umfasst die bilanzielle Planung, Koordination und Abrechnung aller Einspeisungs- und Entnahmestellen im Bilanzkreis des Lieferanten und legt beispielsweise die Anforderungen an die Fahrplananmeldung durch den Lieferanten fest.[xiv]
Der P2P-Handel im energiewirtschaftlichen Rollenmodell
Grundsätzlich ist anzunehmen, dass sich durch einen P2P-Handel die Definition der Rollen nicht signifikant verändern wird, da die darin zugewiesenen Verantwortlichkeiten auch bei einem neuen Transaktionsmodell weiterhin getragen werden müssen. Stattdessen kann der Blockchain-Einsatz aber dazu führen, dass sich eine veränderte Zuweisung der Rollen unter den etablierten und potentiellen neuen Marktakteuren ergibt. So wird im Folgenden aufgezeigt, welche Herausforderungen sich bei der Neuzuordnung der Marktrollen ergeben würden. Dabei ist für einen P2P-Handel grundsätzlich eine Vielzahl organisatorischer Gestaltungsvarianten denkbar, da sich Netzwerktypen und Konsensmechanismen sowie Betreiber- und Teilnehmereigenschaften unterschiedlich kombinieren und beinahe nach Belieben definieren lassen. Da die Vereinbarkeit mit den regulatorischen Rahmenbedingungen sowie der Einfluss auf die Rollenverteilung jedoch von der konkreten Ausgestaltung des P2P-Handels abhängen, sollen exemplarisch zwei mögliche Gestaltungsvarianten entwickelt und analysiert werden. Darunter findet sich als eine Extremposition ein als dezentrale, autonome Organisation (DAO) gestaltetes P2P-Netzwerk, das sich insbesondere durch eine maximale Unabhängigkeit von staatlichen oder privatwirtschaftlichen Unternehmen auszeichnet. Des Weiteren soll als Gegenstück ein P2P-Netzwerk betrachtet werden, welches von einem einzigen Unternehmen bzw. einem Konsortium betrieben und kontrolliert wird.
Vereinbarkeit des P2P-Handels. Mittelfristig ist auf Grundlage des EEG nicht zu erwarten, dass sich für den P2P-Handel über das öffentliche Netz abweichende Regelungen für den Anschluss und die Abnahme von EE-Strom ergeben. Gegen Ausnahmeregelungen sprechen außerdem die Unbundling-Vorschriften, die eine klare Trennung zwischen Netz und Vertrieb vorsehen und somit der Netzanschluss und die Stromabnahme unabhängig von der anschließenden Vermarktungsform zu betrachten sind. Auszuschließen sind Sonderregelungen allerdings nicht, worauf die sogenannte De-minimis-Regelung für das Unbundling schließen lässt.
Aus der Vermarktungsperspektive ergibt sich für den P2P-Handel eine grundsätzliche Vereinbarkeit mit den gesetzlichen Bestimmungen. So ist eine Veräußerung von EE-Strom über ein P2P-Netzwerk als sonstige Direktvermarktung im Sinne des § 21b EEG 2017 einzustufen. Zu beachten ist allerdings, dass der Einspeiser im Rahmen der sonstigen Direktvermarktung keinen Anspruch auf die Marktprämie erheben kann. Der P2P-Handel ist nach den aktuellen Bestimmungen des EEG somit nicht förderfähig.
Da für einen P2P-Handel ohnehin ein intelligentes Messsystem erforderlich ist, wäre im Sinne des § 21b Abs. 2f EEG 2017 ein Nachweis über die tatsächliche Einspeiseleistung in geforderter zeitlicher Auflösung keine Hürde. Problematischer stellt sich allerdings die Anforderung dar, dass die prozentualen Anteile der verschiedenen Veräußerungsformen bereits im Vorfeld festzulegen sind. Dies würde einen dynamischen und marktorientierten P2P-Handel deutlich einschränken, da das Verhältnis von Eigenverbrauch, P2P-Handel und EEG-Einspeisung je nach Eigenbedarf, Wetterverhältnissen und P2P-Nachfrage deutlich unterschiedlich ausfallen kann.
Der DAO-Ansatz. Bei einer DAO handelt es sich um ein auf der Blockchain basierendes Organisationsmodell, das komplett auf eine zentrale Macht- und Kontrollinstanz verzichtet[xv]. Stattdessen werden alle netzwerk- und transaktionsbezogenen Entscheidungen im Konsens getroffen, wodurch jedem Netzwerkteilnehmer eine Stimme und die Möglichkeit der Partizipation eingeräumt werden. Hinsichtlich der Rollenverteilung würde ein derartiges Modell dazu führen, dass die Netzwerk-Teilnehmer, also die Erzeuger und Verbraucher bzw. Prosumenten, wesentliche Verantwortungsbereiche übernehmen müssten. Wird eine vollständige Unabhängigkeit der Endkunden von den etablierten Stromlieferanten sowie die Autonomie der Endkunden untereinander angestrebt, würde sich die Rollenverteilung und die damit einhergehenden Pflichten und Verantwortungen in Richtung der Endkunden verschieben. Der P2P-Erzeuger hätte entsprechend die Rolle des Lieferanten zu übernehmen, was die Notwendigkeit für Vertragsabschlüsse mit jedem einzelnen Stromkunden sowie mit den Übertragungs- und Verteilnetzbetreibern zur Folge hätte (siehe Abbildung 7). Die sich aus diesen Verträgen ergebenen Verpflichtungen, insbesondere die Bilanzkreisverantwortung, wären entsprechend durch den P2P-Erzeuger in der Rolle des Lieferanten und Einsatzverantwortlichen zu tragen. Auf Verbraucherseite hätte der Endkunde ebenfalls mit deutlich mehr Verantwortungsübernahme zu rechnen, denn nach diesem Modell wäre von dem Endkunden ein NAV sowie ein NNV mit dem zuständigen VNB abzuschließen. Darüber hinaus wäre kein AIV mit einem Versorger mehr möglich, weshalb der P2P-Verbraucher sich dem Bilanzkreis eines Dienstleisters anschließen oder seine Entnahmen eigenständig anmelden und ausgleichen müsste.
Da in Deutschland ein diskriminierungsfreier Netzzugang gewährleistet werden muss, kann prinzipiell jeder private oder gewerbliche Erzeuger auch Stromlieferant werden. So sind bei der BNetzA bereits über 700 Energielieferanten unterschiedlicher Größe offiziell registriert[xvi]. Diesbezüglich ist jedoch zu beachten, dass jede natürliche oder juristische Person, die Energie über die öffentlichen Netze an andere liefert, im Sinne des § 3 Nr. 18 EnWG ein EVU darstellt und die Aufnahme der Energiebelieferung nach § 5 EnWG unverzüglich bei der BNetzA anzeigen muss. Kommt die Regulierungsbehörde in diesem Zusammenhang jedoch zu dem Entschluss, dass der angezeigte Energieversorger nicht die personelle, technische oder wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erbringen und dementsprechend keine zuverlässige Versorgung gewährleisten kann, ist die Behörde berechtigt, die Ausübung der Tätigkeit nach § 5 Satz 4 EnWG zu untersagen.
Für den Stromeinspeiser in einem offenen P2P-Netzwerk würde dies nicht nur bedeuten, dass er eine entsprechende Unternehmung zur Abwicklung seiner Handelsgeschäfte gründen müsste, sondern auch, dass er sich bei den Regulierungsbehörden zu registrieren und ggf. seine Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit nachzuweisen hätte.
Weiterhin ist anzumerken, dass die Rolle des EIV bislang lediglich für große Kraftwerke und Industrieverbraucher von Bedeutung ist, nicht aber für PV-Kleinanlagen und Haushaltskunden, da Einspeisungen vom Netzbetreiber und Lastprofile vom Stromlieferanten prognostiziert werden. Sagen sich zukünftig die Mitglieder eines P2P-Netzwerks von ihren konventionellen Stromlieferanten allerdings los und speisen den selbst erzeugten Strom nicht mehr im Rahmen der EEG-Einspeisevergütung ein, ist es grundsätzlich denkbar, dass P2P-Teilnehmer zu EIV würden und den damit einhergehenden Anforderungen gerecht werden müssten.
Der EVU-Ansatz. Im Gegensatz zu dem DAO-Ansatz ist auch eine Konzentration der Entscheidungsgewalt und Verantwortungsübernahme auf einen einzelnen Netzwerkbetreiber oder ein kooperierendes Betreiberkonsortium vorstellbar. Als Dienstleister würde dieser Betreiber, ähnlich wie der Betreiber eines virtuellen Kraftwerks, die dezentralen Erzeugungsleistungen und Lasten aggregieren und zugleich diverse administrative Prozesse bündeln. Doch anstatt die Kapazitäten am Großhandelsmarkt weiter zu verkaufen, wie mit den Kapazitäten eines virtuellen Kraftwerks verfahren wird, würde der P2P-Dienstleister seinen Teilnehmern einen direkten Stromhandel untereinander ermöglichen. Durch die Beauftragung eines Dienstleisters mit der Abnahme und Belieferung von P2P-Strom sowie der Übertragung der damit einhergehenden Verpflichtungen, könnten die P2P-Teilnehmer die Rolle des Lieferanten und Einsatzverantwortlichen auf den Dienstleister übertragen. Ebenso verhält es sich mit der Bilanzkreisverantwortung, die in diesem Zusammenhang ebenfalls an den Dienstleister abgegeben werden könnte. Dieser Ansatz würde schließlich mittels eines AIV zwischen den Endkunden und dem Netzwerkbetreiber einen wie bislang gewohnten Zugang zur Strombeschaffung ermöglichen, wobei der Betreiber des P2P-Netzwerks gegenüber dem VNB und ÜNB als Lieferant auftritt, Bilanzkreisverantwortung übernimmt und dementsprechend Fahrpläne übermittelt sowie an den Großhandelsmärkten Über- bzw. Unterkapazitäten ausgleicht (siehe Abbildung 8).
Geht man ferner davon aus, dass die P2P gehandelten Strommengen nicht für eine Vollversorgung ausreichen, würde der Dienstleister ebenfalls Reststrommengen an die P2P-Teilnehmer verkaufen. So könnte der Dienstleister beispielsweise einen „P2P-Tarif“ anbieten, der dem Endkunden zwar einen direkten Stromhandel unter Nachbarn und Freunden ermöglicht, alle Netzwerkteilnehmer allerdings dazu verpflichtet, die nicht durch den P2P-Handel gedeckten Bedarfe durch einen klassischen Strombezug zu decken. In Summe erbringt der Dienstleister neben dem Betrieb des P2P-Netzwerkes folglich alle Services, die moderne Energieversorger heute ohnehin schon anbieten. So ist festzustellen, dass die etablierten Energieversorger für diese Rolle des P2P-Dienstleisters eigentlich prädestiniert wären.
Wesentliche Erkenntnisse und Bewertung des P2P-Handels
Ausgangspunkt der Kritik am bisherigen Versorgungssystem ist die Differenz, die sich aus Verkaufserlös von EE-Strom und dem Strompreis im Rahmen eines konventionellen Versorgungstarifs ergibt. So würde beispielsweise eine im Jahr 2020 aus der EEG-Förderung laufende PV-Anlage bei Einspeisung vom Netzbetreiber vermutlich nur noch den Marktwert für Solarstrom in Höhe von weniger als 2,50 ct/kWh erhalten. Durchläuft die gleiche Kilowattstunde anschließend den Großhandel und wird über einen Energieversorger an einen privaten Verbraucher weiterverkauft, zahlt dieser jedoch einen Endkundenpreis von durchschnittlich mehr als 28 ct/kWh. Diese augenscheinliche Vervielfachung des Strompreises durch den Großhandel und die Vertriebsgesellschaften lässt Grund zur Annahme, dass durch einen Verzicht auf diese vermeintlich kostspieligen Mittelsmänner nicht nur ein günstigerer Strompreis für die Verbraucher, sondern auch höhere Erlöse für die Stromproduzenten möglich wären.
Über diese finanziellen Vorteile hinaus verspricht der Blockchain-Einsatz zudem eine mögliche Unabhängigkeit von Energieversorgern, die in der Vergangenheit unter anderem durch stetig steigende Strompreise den Unmut der Stromkunden auf sich gezogen haben. Stattdessen würde der direkte Stromhandel über die Blockchain eine glaubhaftere Transparenz über die tatsächliche Herkunft des Stroms und die Zusammensetzung des Strompreises ermöglichen. Darüber hinaus ließe sich mit dem P2P-Handel ein lokaler Strommarkt realisieren, der neben einer höheren Akzeptanz für EE vermutlich auch das Gemeinschaftsgefühl der Erzeuger und Verbraucher stärken und dem Regionalitätsgedanken entsprechend einen positiven emotionalen Mehrwert erzeugen würde. Ferner wäre durch entsprechende finanzielle Anreise ein netzdienlicher Stromhandel möglich, der die Integration der EE zusätzlich unterstützen könnte.
Um die Frage zu beantworten, ob sich diese vielfältigen Potentiale überhaupt realisieren lassen, wurde in den vorangegangenen Kapiteln das bislang eher theoretische Konzept des P2P-Handels zunächst auf die grundsätzliche Umsetzbarkeit innerhalb des aktuellen Rechtsrahmens geprüft. Dabei konnte nach eingehender Untersuchung der regulatorischen Rahmenbedingungen eine grundsätzliche Vereinbarkeit des P2P-Handels mit den gesetzlichen Bestimmungen festgestellt werden. Demnach sind die Netzbetreiber nicht nur zum Anschluss von EE-Anlagen und zur Abnahme von Grünstrom verpflichtet, mit der im EEG vorgesehenen „sonstigen Direktvermarktung“ scheint der P2P-Handel auch aus Vermarktungsperspektive als grundsätzlich realisierbar. Lediglich der Umgang mit einem dynamischen Wechsel zwischen unterschiedlichen Vermarktungsformen bedarf aus energierechtlicher Perspektive weiterer Klärung bzw. einer regulatorischen Erweiterung zugunsten des P2P-Handels.
Da neben der Gesetzeskonformität die Verantwortungsübernahme bei energiewirtschaftlichen Geschäftsmodellen ein ebenso wichtiges Kriterium zur Bewertung der Umsetzbarkeit darstellt, waren die marktorganisatorischen Herausforderungen zu ermitteln, die ein P2P-Handel mit sich bringen würde. Es ist nämlich stets zu beachten, dass die Elektrizitätsversorgung eine kritische Infrastruktur darstellt, deren unterbrechungsfreie Verfügbarkeit in jedem Fall zu gewährleisten ist. Damit unterscheidet sich der P2P-Stromhandel ganz wesentlich von anderen Blockchain-Anwendungen, insbesondere da der P2P-Verkauf von Strom neben der digitalen Wertübertragung mit einer Verpflichtung zum physikalischen Ausgleich einhergeht. Dementsprechend sind für das Zusammenspiel der unterschiedlichen Marktakteure sowohl energetische wie auch finanzielle Pflichten und Verantwortungen konsequent einzuhalten.
Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass — so vielversprechend diese Technologie auch scheint — in absehbarer Zeit kein Abrücken von diesen Grundprinzipien zu erwarten ist. Die definierten Marktrollen und die damit einhergehenden Verantwortlichkeiten werden entsprechend auch bei Einführung eines P2P-Handels Bestand haben. Vorstellbar ist allerdings, dass je nach Ausgestaltung des P2P-Handels, eine neue Zuordnung der definierten Rollen unter den bereits etablierten und ggf. neuen Marktteilnehmern erfolgt. Diesbezüglich wurden im Verlauf der Analyse zwei gegensätzliche Integrationsansätze des P2P-Handels in das energiewirtschaftliche Rollenmodell entwickelt und die zu erwartenden Konsequenzen für die Rollenverteilung abgeleitet.
Wird demzufolge ein dezentrales, autonomes P2P-Netzwerk angestrebt, ginge die Unabhängigkeit der Endkunden mit einer weitreichenden Verschiebung der Verantwortlichkeiten zu deren Lasten einher. So ist neben dem administrativen Aufwand für die Etablierung und Pflege der vertraglichen Beziehungen zwischen Erzeugern, Verbrauchern und den Netzbetreibern, insbesondere die Übernahme der Bilanzkreisverantwortung durch den P2P-Teilnehmer zu nennen. Zudem würde unabhängig von der Höhe der eingebrachten Erzeugungsleistung aus jedem Endkunden, der Strom über das öffentliche Netz liefert, per Gesetz ein selbstverantwortliches EVU. Dies würde nicht nur die Anmeldung der Lieferantentätigkeit voraussetzen, sondern auch die Gründung einer Gesellschaft, über die sämtliche mit dem Stromverkauf anfallenden Steuern, Abgaben und Umlagen eingesammelt und anschließend an die rechtmäßigen Empfänger abgeführt werden müssten. Der sich nach diesem Modell ergebende Aufwand auf Erzeuger- und Verbraucherseite sowie die zu tragenden Risiken wären für Einzelpersonen somit unverhältnismäßig hoch, sodass vermutlich niemand dazu bereit wäre, an einem derartig organisierten P2P-Handel zu partizipieren.
Würde stattdessen ein Dienstleister, beispielsweise ein klassisches EVU, den Betrieb des P2P-Netzwerkes übernehmen, ließen sich wesentliche Verantwortungsbereiche von den P2P-Teilnehmern auf diesen Dienstleister übertragen. Damit wäre die Unabhängigkeit der Endkunden von den EVU oder ähnlichen Dienstleistern zwar nicht erreicht, höhere Verkaufserlöse bzw. niedrigere Stromkosten, eine verbesserte Transparenz der Stromherkunft, ein lokaler Strommarkt oder eine verbesserte Integration der erneuerbaren Energien wären je nach konkreter Ausgestaltung des P2P-Netzwerkes aber dennoch möglich.
Anmerkungen
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Bei dem vorliegenden Working Paper handelt es sich um einen Auszug aus der Master’s Thesis “Blockchain in der Energiewirtschaft: Chancen und Risiken durch den Einsatz der Blockchain-Technologie und damit einhergehende Auswirkungen auf die heutigen Marktrollen”, die von Michael Kreuzburg an der HTW-Berlin (www.htw-berlin.de) in Kooperation mit der Unternehmensberatung mgm consulting partners (www.mgm-cp-com) erstellt wurde. Die vollständige Studie kann bei Florian Umbreit (Florian.Umbreit@mgm-cp.com) angefragt werden.
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Autoren
Michael Kreuzburg arbeitet als Blockchain Business Developer bei der Hamburger Softwarefirma Ponton GmbH und ist per Email (Kreuzburg@Ponton.de), auf LinkedIn (www.linkedin.com/in/michaelkreuzburg), auf Xing (xing.to/michaelkreuzburg) und via Twitter (@BlockchainPower) zu erreichen
Fußnoten
[i] Teodorescu, M. Microgrid Shares the Power in NYC [online]. Distributed power system uses blockchain, 12. Mai 2016 [Zugriff am: 14. August 2017].
Verfügbar unter: http://www.eetimes.com/document.asp?doc_id=1330929
[ii] Power Ledger PTY Ltd. Power Ledger Whitepaper. Perth, 2017.
[iii] Nessel, G. und L. Dudek. Wie steht der Verbraucher heute zur Regionalität? o.O., 2013.
[iv] Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt. Monitoringbericht 2016. Bonn, 2016.
[v] Trinckauf, K. Vom Prozessmodell zum Rollenmodell und zurück. o.O., 7. März 2012.
[vi] Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. Rollenmodell für die Marktkommunikation im deutschen Energiemarkt. Strom und Gas. Berlin, 2016.
[vii] European Network of Transmission System Operators for Electricity. The Harmonised Electricity Market Role Model. Brüssel, 2014.
[viii] Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. Rollenmodell für die Marktkommunikation im deutschen Energiemarkt. Strom und Gas. Berlin, 2016.
[ix] Schwab, A.J. Elektroenergiesysteme. Erzeugung, Transport, Übertragung und Verteilung elektrischer Energie. 3. Auflage. Berlin: Springer, 2012. ISBN 978–3–642–21957–3.
[x] Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. Rollenmodell für die Marktkommunikation im deutschen Energiemarkt. Strom und Gas. Berlin, 2016.
[xi] 50Hertz Transmission GmbH, Amprion GmbH, Tennet TSO GmbH und TransnetBW GmbH. EEG-Vergütungskategorien 2017. 16. August 2017.
[xii] Hoppenbrock, V. Der Rechtsrahmen für technische Vorgaben für EE-Anlagen und seine Entwicklung. Berlin, 8. März 2016.
[xiii] Next Kraftwerke GmbH. Was ist die Direktvermarktung von Strom aus Erneuerbaren Energien? [online], o.J. [Zugriff am: 19. Juli 2017]. Verfügbar unter: https://www.next-kraftwerke.de/wissen/direktvermarktung
[xiv] Konstantin, P. Praxisbuch Energiewirtschaft. Energieumwandlung, -transport und -beschaffung, Übertragungsnetzausbau und Kernenergieausstieg. 4. Auflage. Berlin: Springer Vieweg, 2017. ISBN 978–3–662–49822–4.
[xv] Grassegger, H. Blockchain: Die erste Firma ohne Menschen [online], 26. Mai 2016 [Zugriff am: 7. September 2017]. Verfügbar unter: http://www.zeit.de/digital/inter-net/2016-05/blockchain-dao-crowdfunding-rekord-ethereum
[xvi] Bundesnetzagentur. Lieferantenanzeige [online], 2017 [Zugriff am: 10. August 2017]. Verfügbar unter: https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Sachgebiete/Elektrizitaetund-Gas/Unternehmen_Institutionen/HandelundVertrieb/Lieferantenanzeige/lieferantenanzeige-node.html